Der heutige Mobilitätsstil ist global nicht zukunftsfähig. Er belastet das Klima, die menschliche Gesundheit und die globalen Ressourcen. Zudem besteht eine wachsende Ungleichheit zwischen ärmeren und reicheren Bevölkerungsschichten bei der Frage des Zugangs („Access“) zu Entwicklungschancen. Mobilität ist kein Selbstzweck sondern kann nur ein Mittel zur Steigerung der Erreichbarkeit von wichtigen sozialen, ökonomischen und kulturellen Einrichtungen sein.
Ein einseitiger Fokus auf Klimaschutz und CO2-Reduktion und eine Beschränkung auf technische Innovationen, alternative Treibstoffe oder einzelne Verkehrsträger werden die beschriebenen Probleme nicht lösen. Erfolg versprechend ist nur ein gut abgestimmtes Konzert an maßgeschneiderten Maßnahmen, die darauf abzielen, überflüssige Wege zu vermeiden und Wegedistanzen zu verkürzen, die Güter und Personen mit möglichst nachhaltigen Verkehrsmitteln bewegen und die Transportsysteme durch technologische Innovationen und alternative Antriebe so effizient wie möglich machen.
Eine entscheidende Rolle spielen Ansätze, die einen Bewusstseinswandel der Bevölkerung hin zu nachhaltiger Mobilität zum Ziel haben. Ohne eine grundlegende Verhaltensänderung der Menschen ist die Verwirklichung einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Mobilität nicht möglich.
Während in Entwicklungsländern zusätzliche Infrastruktur weiterhin nötig ist – insbesondere zur Erschließung ländlicher Räume und zur Verbesserung des Mobilitätsangebots in urbanen Räumen - muss der Transport in Industrieländern in den nächsten Jahren erheblich unabhängiger von fossilen Treibstoffen werden. Dazu gehört auch die Überprüfung und Veränderung des Lebensstils in den wohlhabenden Ländern, der noch viel zu sehr auf Kosten der Entwicklungsländer geht. Die globale Ressourcengerechtigkeit ist somit auch eine Frage des Mobilitätsstils.
Vorhandenes Wissen und Erfahrungen aus erfolgreicher Praxis werden nicht genügend ausgetauscht. Nationale und lokale Institutionen sind schwach ausgestattet und nicht vernetzt. Politischer Wille („Leadership“) wird entscheidend sein, damit der Transportsektor sein Potenzial beim Erreichen der Millennium Development Goals voll ausschöpfen kann. Nationale, bilaterale und multinationale Geber müssen viel stärker als bisher in nachhaltige Transportprojekten investieren und dabei die spezifischen Mobilitätsherausforderungen in Schwellen- und Entwicklungsländern einbeziehen. Den Vereinten Nationen kommt eine zentrale Bedeutung bei der Definition gemeinsamer Ziele und Vorgehensweisen zu. Dennoch ist ihre Unterstützung durch politisch und gesellschaftlich wichtige Akteuren ausschlaggebend, um Empfehlungen in die Tat umzusetzen. Nur durch breite politische und gesellschaftliche Allianzen ist die Verwirklichung einer zukunftsfähigen, gerechten und nachhaltigen Mobilität zu erreichen.)
Der drohende und teilweise schon sichtbare Klimawandel wird inzwischen als größte Bedrohung der Menschheit gesehen. Bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Öl, Gas und Kohle wird viel Kohlendioxid (CO2) freigesetzt. Zusammen mit anderen Klimagasen sorgt dieses CO2 dafür, dass immer weniger der auf die Erde eingestrahlten Wärme zurückreflektiert wird und sich die Erde daher aufwärmt. Der Anteil des CO2s in der Atmosphäre ist seit dem Jahr 1750 um etwa 36 Prozent gestiegen. Die inzwischen erreichte Konzentration ist die höchste seit 650.000 Jahren, und die Anstiegsraten sind seit 20.000 Jahren nicht so steil gewesen wie jetzt (http://www.umweltbundesamt-daten-zur-umwelt.de/umweltdaten/public). Dass dies ein natürlicher Prozess sei, der nichts mit dem Eingreifen von Menschen zu tun hätte, kann man inzwischen mit großer Sicherheit ausschließen.
Um wenigstens das sogenannte 2-Grad-Ziel zu erreichen, müssten wir sofort unseren Ausstoß von CO2 und anderen Klimagasen erheblich reduzieren. Dieses Ziel bedeutet, dass die Klimaerwärmung 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau nicht überschreitet – aber auch diese Erwärmung wäre schon enorm und hätte riesige Auswirkungen auf die Erde: Einen Anstieg des Meeresspiegels, die Zunahme extremer Wetterphänomene, eine Änderung der Niederschlagsmuster und das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten. Alle diese Effekte sind auch jetzt bereits sichtbar. Bei einer Erwärmung über diese 2 °C hinaus könnte es den Klimamodellen zufolge zu mehreren selbstverstärkenden Effekten kommen, so dass damit selbst ohne einen weiteren Ausstoß von Klimagasen eine noch viel stärkere Erwärmung vorprogrammiert wäre.
Wir haben es mit einer doppelten Krise der weltweiten Energieversorgung zu tun: Erstens zerstören wir durch den Klimawandel als Folge des Verbrennens fossiler Energiereserven unsere eigene Lebensgrundlage, und zweitens sind die Ressourcen, aus denen wir unsere Energieversorgung überwiegend decken, limitiert. Für den Verkehrssektor trifft dies in besonderem Maße zu, da Öl als fast ausschließliche Energiequelle in diesem Bereich noch viel schneller zur Neige geht als andere fossile Ressourcen. Und der Verkehr ist alleine für ein Fünftel des Ausstoßes von Klimagasen verantwortlich. Dazu wächst der weltweite Energieverbrauch immer weiter – allein im Jahr 2010 ist er um 5,6 Prozent angestiegen. Mehrverbrauch an Energie bedeutet in der Regel immer auch einen Mehr-Ausstoß von Schadstoffen.
Optimistische Rechnungen gehen davon aus, dass es weltweit noch 1.383 Billionen Barrel Öl gibt (BP AG: Statistical Review of World Energy, Juni 2011). Würde das Öl mit der gleichen Rate weiter gefördert wie im Jahr 2010, würde es noch nicht einmal mehr für 50 Jahre reichen. Stattdessen steigt die Förderung aber sogar wieder stärker an. Dazu kommt das Problem, dass dieses Öl immer schwerer zu fördern ist, da das leicht förderbare Öl bereits größtenteils ausgebeutet ist. Es müssen daher immer größere Anstrengungen unternommen werden, um tatsächlich an dieses Öl heranzukommen, beispielsweise viel tiefere Bohrungen als früher. Dass dies auch zu erheblich höheren Risiken führt, ist uns nicht zuletzt durch das ›Deepwater Horizon‹-Unglück im Sommer 2010 vor Augen geführt worden, als riesige Mengen Öl über Wochen unkontrolliert in den Golf von Mexiko flossen und Umweltschäden in bis heute kaum abschätzbarem Umfang anrichteten. Aufgrund dieser immer schwieriger werdenden Förderung gehen die meisten Experten inzwischen davon aus, dass ›Peak Oil‹, das globale Ölfördermaximum, bereits hinter uns liegt.
Die besondere Ungerechtigkeit dabei: Wir in den industrialisierten Ländern sind zu einem ganz erheblichen Teil für den Verbrauch des Öls und den Ausstoß von Klimagasen verantwortlich, während Menschen in anderen Teilen der Erde viel stärker unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben werden. So ist beispielsweise Bangladesch mit am Stärksten vom Meeresspiegelanstieg bedroht, aber die Menschen dort stoßen vergleichsweise wenige Klimagase aus. Um das oben erwähnte Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, stünden in Zukunft jedem Menschen auf der Erde noch gut 2 Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr zu. Im Jahr 2008 lag der weltweite Durchschnitt jedoch bereits bei 4,5 Tonnen CO2 pro Erdenbürger. Auf jede und jeden Deutschen kommen 10 Tonnen CO2, während es US-Amerikaner sogar auf 19,5 Tonnen pro Kopf bringen, eine Inderin oder ein Inder hingegen nur auf 1,5 Tonnen. In vielen afrikanischen Ländern werden gerade einmal um 0,1 bis 0,3 Tonnen CO2 pro EinwohnerIn ausgestoßen, womit diese Länder im Prinzip unseren hohen Energiestandard subventionieren. Der gesamte afrikanische Kontinent stößt weniger CO2 aus als Deutschland alleine!
Es sieht allerdings nicht so aus, als wenn die Menschen in den Ländern, die bisher sehr wenig CO2 ausstoßen, bereit wären, dieses Missverhältnis weiter zu akzeptieren. Auch die Menschen in den sogenannten Entwicklung- und Schwellenländern streben den gleichen energieintensiven Lebensstandard an, den wir in den westlichen Ländern schon heute haben, und das gilt insbesondere auch in Hinblick auf den Verkehr. Das heißt im schlimmsten Falle, dass sie auch Energie im gleichen Maße verbrauchen werden wie wir. Schon jetzt steigt der Energieverbrauch beispielsweise in China und Indien rapide an: Der chinesische Energieverbrauch stieg im Jahr 2010 alleine um 11,2 Prozent an, der indische um 9,2 Prozent (BP AG: Statistical Review of World Energy, Juni 2011). Unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit lässt sich auch kaum begründen, warum den Menschen in diesen Ländern nicht das Recht auf den gleichen Energieverbrauch zustehen sollte, den wir für uns in Anspruch nehmen. Gleichzeitig ist jedoch auch klar, dass wir durch diesen weiter stark wachsenden globalen Energieverbrauch innerhalb kürzester Zeit in eine noch viel stärkere Energie- und Klimakrise hineingeraten als wir sie jetzt bereits erleben.
Die einzige Antwort auf dieses Dilemma kann also nur lauten: Wir müssen unseren Energieverbrauch ganz erheblich senken. Das gilt nicht nur, aber auch für den Bereich Mobilität. Damit bezieht sich ›Solidarische Mobilität‹ nicht nur auf die Solidarität im eigenen Land, sondern ganz besonders auch global. Wir müssten unseren CO2-Ausstoß in Deutschland mindestens auf ein Fünftel vermindern, um zumindest einigermaßen nachhaltig zu leben.
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